Von den 586.000 auf Chrono24 gelisteten Uhren sind über 380.000 Automatikuhren, was diese zur beliebtesten Kategorie von Uhren macht. Handaufzugsuhren sind mit 58.000 Exemplaren sogar wesentlich seltener gelistet als Quarzuhren, von denen etwa 114.000 angeboten werden. Unter den 380.000 gelisteten Automatikuhren wird man auf eine bemerkenswert geringe Anzahl an Uhren stoßen, bei denen der Rotor nur einen kleinen Ausschnitt des Werks beansprucht und statt über dem Werk zu thronen mitten in die Ebenen der Platinen und Räder eingebettet ist. In diesem Fall hat man es mit einem Uhrwerk mit Mikrorotor zu tun. Wie und weshalb er erfunden wurde, was seine Vor- und Nachteile sind, wer ihn einsetzt und wer neue Werke mit ihm entwickelt, das erfahren Sie hier.
Uhren mit Mikrorotor – exklusiv, aufwendig und teuer?
Heute kennen wir den Mikrorotor vor allem von exklusiven Marken der Haute Horlogerie, sei es in der Kaliberreihe 240 bei Patek Philippe oder bei Bulgari, in der Tonda bei Parmigiani Fleurier, bei Laurent Ferrier in der Classic Micro-Rotor oder in der Antarctique von Czapek. Einige der genannten Modelle hat sich unser Kollege Sebastian schon in seinem Artikel Was ist eine Mikrorotor-Uhr? 3 aktuelle Modelle im Vergleich zur Brust genommen.
Auch in hochkomplexen Zeitmessern wird gerne eine Konstruktion mit Mikrorotor eingesetzt, da dies erlaubt, das Werk mit Gravuren und Oberflächenveredelungen besonders gut in Szene zu setzen, ohne dass etwas den Blick des Sammlers trüben könnte. Entsprechend verbindet man mit dem Mikrorotor hochpreisige Zeitmesser, und so ist es naheliegend zu glauben, dass seine Ausführung besonders aufwendig und kostenintensiv ist und er deswegen den höheren Sphären der Uhrmacherkunst vorbehalten bleibt. Tatsächlich sieht die Wahrheit anders aus!
Eine geniale Innovation der Buren Watch Company
Gegen Ende der 1950er-Jahre präsentierten zwei Schweizer Uhrenmarken in kurzem zeitlichem Abstand eine Innovation: den Mikrorotor. Buren stellte die Super Slender mit einem Mikrorotor-Werk vor, Universal Genève das Modell Polerouter. Beide Firmen hatten – offenbar, ohne es zu wissen – parallel an der Realisierung des Konzepts gearbeitet. Die Bezeichnung „Microrotor“ wurde von Universal Genève ersonnen und stolz in die Werksplatinen graviert. Der bei Buren für die Entwicklung des Mikrorotor-Werks verantwortliche Hans Kocher bevorzugte die Bezeichnung „Planetenrotor“, die sich nie etablieren konnte und heute nahezu vergessen ist.
Viele verbinden vor allem die Kultmarke Universal, die sich derzeit eines Revivals erfreut, mit dem Mikrorotor und wägen sie als dessen Erfinder. Zweifelsohne auch deshalb, weil Designliebling Gérald Genta hinter der Gestaltung des Polerouter steckte.
Doch wer war der wahre Pionier? Je nach Quellen, die man durchforstet, finden sich widersprüchliche Angaben beider Firmen bezüglich des Erfindungsdatums. Was wir aber wissen: Dank eingereichter und erteilter Patente ist die Rechtslage eindeutig, und die Auswertung fällt zugunsten der Buren Watch Company aus. 1954 reichte Hans Kocher, technischer Direktor von Buren, ein entsprechendes Patent CH329804A in der Schweiz ein. Universal Genève war mit der Einreichung des Patents CH329805 im Jahr 1955 etwas zu spät dran.

Das Resultat war, dass Universal Genève eine Zeit lang ihre Uhrwerke mit „PATENTED RIGHTS PENDING“ kennzeichnen musste, wobei man diesen Schriftzug in der Werksplatine unter dem Mikrorotor anbrachte. Buren, die ihr Design auch an Fremdfirmen lizenzierten, einigten sich schließlich mit Universal auf eine reduzierte Lizenzgebühr von vier Franken pro Uhrwerk. Schließlich wurde 1958 auch Universal das eingereichte Patent erteilt, wobei unklar ist, wie dies problemlos vonstattengehen konnte angesichts der eindeutigen Erstanmeldung durch Buren.
Wieso den Automatikrotor neu erfinden?
Die Vorgeschichte kennen wir nun, doch wieso erfand man den Mikrorotor in den 1950er-Jahren, als mechanische Uhren noch das einzige zweckmäßige Mittel waren, um unterwegs die Uhrzeit zu erfahren?
Damals brauchte man vor allem zuverlässige, elegante und kompakte Zeitmesser, keine hochveredelten Luxusuhren. Ein klassischer Rotor trägt signifikant zur Werkshöhe bei, die wiederum die Höhe der gesamten Uhr beeinflusst. In seinem Buch „Automatische Uhren“ verweist Kocher auf Patente aus den 1940er-Jahren, die bereits die Idee einer Verlegung des Automatikaufzugs in die Werksebene vorschlagen. Umgesetzt und patentiert hat es schlussendlich Herr Kocher höchstselbst.
Da also eher ästhetische Kriterien Anlass für diese Entwicklung waren, mussten bei der Funktionalität Kompromisse eingegangen werden. Um diese zu verstehen, muss man sich mit den grundlegenden Designkriterien eines Rotors auseinandersetzen.
Grundlagen von Rotoren in Automatikuhren
Rotoren von Automatikuhren lassen sich über ein paar Kenngrößen beschreiben, die ihre Aufzugsleistung beeinflussen. Es ist intuitiv klar, dass das Gewicht des Rotors hierzu zählt.
Deshalb stellt man Rotoren aus möglichst preiswerten, maximal dichten Materialien her. So landet man bei Sinterlegierungen aus Wolfram, deren Dichte unter den praktisch nutzbaren Elementen nur vom kostspieligen Platin (ja, selbst Gold ist leichter als Wolfram) übertroffen wird.
Weiterhin sind das statische Drehmoment für den Aufzug durch gemächliche Lageänderungen und das Massenträgheitsmoment des Rotors für schnelle Beschleunigungen des Arms von Belang. Beide werden besonders groß, wenn man möglichst viel Masse des Rotors weit außen ansammeln kann, wobei dies insbesondere für das Massenträgheitsmoment gilt.
Ein für den Beschleunigungsaufzug optimierter Rotor beansprucht keinen halben Kreisbogen, sondern nur einen Ausschnitt zwischen etwa 120° und 160°, schneidet jedoch bei langsamen Lageänderungen schlechter ab und kann seine Vorteile nur bei sehr hastigen Bewegungen, etwa beim Sport, ausspielen. Die meisten Rotoren nutzen einen 180°-Rotor, der ideal für den Aufzug durch gemütliche Bewegungen geeignet ist.
Nachteile des Mikrorotors
Bewaffnet mit diesen Grundlagen lässt sich leicht nachvollziehen, wieso der Mikrorotor in Sachen Aufzugsleistung oft nicht mit seinem großen Bruder mithalten kann. Da nicht seine reine Masse, sondern vor allem die Ansammlung dieser Masse möglichst weit weg von seiner Rotationsachse von Bedeutung ist, kann er mit konventionellen Rotoren nicht Schritt halten. Eine Einbettung in die Werksebene erlaubt es zwar, Mikrorotoren sehr hoch auszuführen, doch nah an der Rotationsachse gelegene Masse trägt wiederum nur unterdurchschnittlich zur Performance bei.
Nicht zuletzt spart der Mikrorotor Bauhöhe beim Werk ein, seine Einbettung in die Werksebene beansprucht jedoch Platz, der dem Räderwerk und vor allem einer großzügig dimensionierten Zugfeder fehlt. Mittelmäßige Aufzugsleistung bei reduzierter Gangreserve ist keine ideale Kombination, was sich vereinzelt bei historischen Uhren mit Mikrorotor bemerkbar machte. Moderne Mikrorotor-Kaliber wie das CMM.20 von Yema beweisen mit 70 Stunden Gangreserve bei sportlichen vier Hertz Unruhfrequenz, dass dieser theoretische, relative Nachteil dank effizienter, optimierter Komponenten kein absoluter sein muss. Patek Philippes bewährte, aber im Kern nicht ganz taufrische Werkegeneration 240 hingegen garantiert bei vereinzelten Modellen dürftige und wenig zeitgemäße 38 Stunden Gangreserve.
Die Zukunft des Mikrorotors
Im Umfeld der mechanischen Uhren werden die wenigsten Entscheidungen rein rational getroffen. So verwundert es nicht, dass der Mikrorotor nicht nur aufgrund seiner Vorteile in Sachen Bauhöhe hohes Ansehen genießt. Vielmehr hat sich die Assoziation mit exklusiver Uhrmacherkunst in den Köpfen der Enthusiasten festgesetzt, was sich in regelmäßigen Neuvorstellungen von Mikrorotor-Werken niederschlägt. Neben dem erwähnten, recht jungen CMM.20 von Yema baut auch Vaucher Fleurier, die Werkeschmiede von Parmigiani, ein Basiswerk mit Mikrorotor. Das chinesische Hangzhou 5000a brachte es zu unverhofftem Ruhm in der Baltic MR01, mit dem die französische Marke einen gewaltigen Erfolg inklusive Graumarktpreisen weit über UVP erzielte – eine Patek-Hommage für jeden Geldbeutel. Auch das BVL 138, das die hochgelobte und beliebte Octo Finissimo von Bulgari antreibt, ist ein Mikrorotor-Werk, dessen extraflache Konstruktion die Kernkompetenz der Marke glänzend unterstreicht.
Wie Sie sehen, mangelt es nicht an neuen oder populären Uhren, die auf einen Mikrorotor setzen, was nicht zuletzt an der anhaltenden Faszination der Enthusiasten für diese charmante Konstruktion liegen dürfte. Dass sich hiermit auch im preissensiblen Segment Geschäfte machen lassen, haben einige Marken in jüngerer Vergangenheit gezeigt. Ich für meinen Teil freue mich auf weitere erschwingliche und zeitgemäße Mikrorotor-Werke, die ganz sicher kommen werden.