Ob Job, Haus, Auto oder Urlaub: Es gibt Menschen, für die muss es immer hinaufgehen. Das Lebenscredo lautet: größer, schneller, weiter und teurer als jemals zuvor. Es ist der Glaube und die Hoffnung auf ein immerwährendes individuelles wirtschaftliches Wachstum. Die Motivation nach der nächsthöheren Erfolgsstufe macht natürlich auch vor unseren Hobbys nicht Halt.
Wenn Sie diesen Artikel lesen, ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie sich intensiver mit dem Thema Luxusuhren beschäftigen. Höchstwahrscheinlich besitzen Sie mindestens einen, vielleicht mehrere teure Zeitmesser oder sind sogar Sammler kostspieliger Luxusuhren. Anhand der Datenlage von Chrono24 sind es übrigens zu 95 % Männer im Alter von durchschnittlich 42 Jahren, die als Käufer auf der Plattform besonders aktiv sind.
Gehören Sie zum oben beschriebenen Typ und streben Sie beim nächsten Uhrenkauf nach einer Luxusuhr, die technisch oder preislich die Vorgängerin übertrifft? Unsere beiden Autoren Sebastian Swart und Pascal Gehrlein vertreten hier unterschiedliche Meinungen – was denken Sie?
Sebastian: „Der Spaß am Uhrenhobby zählt“
Als ich vor rund 30 Jahren begann, mich ernsthaft für Armbanduhren zu interessieren, war ich noch ein horologisches Greenhorn. Über einige Jahre hinweg führte mich der Weg zu schön designten quarzangetriebenen Chronographen – hauptsächlich von Junghans. Zu einem Preis von wenigen Hundert D-Mark passten sie wunderbar ins Budget, waren gut verarbeitet und sahen chic aus.
Irgendwann packte mich die Faszination für mechanische Uhren, womit sich ein völlig neuer Kosmos eröffnete. Meine erste Uhr mit automatischem Antrieb war eine Vostok Amphibia aus russischer Produktion, die ich für rund 35 D-Mark auf einem Flohmarkt ergattern konnte. Die Uhr war für diesen winzigen Betrag schon ganz ordentlich verarbeitet, allerdings wahnsinnig unpräzise. Die nächste mechanische Uhr musste also hochwertiger sein und würde damit garantiert teurer werden.
In den folgenden Jahren oder besser gesagt Jahrzehnten folgte eine Achterbahnfahrt durch alle möglichen Uhrenmarken und solche, die sich dafür halten. Darunter auch Modelle von „Schweizer“ Microbrands im Direktvertrieb in tausendfach kopierten Taucheruhrendesigns. Greift man hier zum richtigen Hersteller, erhält man für nur wenige hundert Euro eine hochwertig verarbeitete Uhr. Und das alles mit „Swiss Made“-Label. Mehr braucht man eigentlich nicht. Oder doch?
Nach Schweizer Underdogs wie Epos oder Titoni, die wirklich gute Uhren anbieten, folgten dann allseits bekannte Hersteller wie TAG Heuer, Longines, und Tudor. Letztere Marken bieten eine exzellente Qualität mit Preisschildern, die einem noch keine Schweißperlen auf die Stirn treiben. Verarbeitungstechnisch wurden die Unterschiede zur vorherigen Preisklasse allerdings immer kleiner, falls man sie mit bloßem Auge überhaupt wahrnehmen konnte. Alle genannten Hersteller statteten zum damaligen Zeitpunkt ihre Modelle allerdings mit Kalibern der ETA aus, also genau genommen Stangenware.
Nun zog es mich hin zur Manufakturqualität. Die nächste Steigerung war eine Omega Speedmaster Broad Arrow mit dem Handaufzugskaliber 1861 – meine damals teuerste Uhr, die mich einige Jahre begleitete. Was jetzt noch fehlte, war die Kultmarke mit der Krone – Rolex. GMT-Uhren hatten es mir schon immer angetan, doch die Preise für GMT-Master II erschienen mir bereits vor 10 Jahren als überzogen. Meine Wahl fiel daher auf eine Rolex Explorer II Ref. 16570. Damit war die Speedmaster plötzlich nur noch meine zweitteuerste Uhr. Das Sub-Design gefiel mir auch schon immer, also gesellte sich zur Explorer und Speedy noch eine Rolex Sea-Dweller 16600. Von der Vostok Amphibia für 35 D-Mark zu dieser Dreierriege nebst all den anderen Markenuhren in meiner Box war es ein langer Weg.
Für viele mag das Ergebnis dieser Reise vielleicht profan erscheinen, für mich stellte es jedoch bereits das Ziel dar. Der Grund: Meine Traumuhren hatte ich beisammen, doch im direkten Vergleich zu weitaus preisgünstigeren Modellen verschiedener anderer Marken erschien mir der Preis zum qualitativen Gegenwert der beiden Rolex als geradezu obszön. Das ist jetzt etwa 8 Jahre her.
Was folgte, waren „Downgrades“. Die 2018 vorgestellte TAG Heuer Autavia und eine Tudor Black Bay 58 – beide mit Manufakturkaliber – fanden den Weg zu mir. Die beiden Rolex-Uhren warf ich wieder auf den Markt, die Speedy blieb zunächst. Nach diesem kleinen Exkurs ins Kronen-Universum und der Erkenntnis, dass auch hier nur mit Wasser gekocht wird, erfreue ich mich heute auch gerne wieder an kleineren Marken, bis hin zu Microbrands wie Yema, Nivada und Christopher Ward. Zwar muss man hier teils auf Manufakturkaliber verzichten, dafür machen diese Uhren losgelöst vom Kultstatus oder Preis einfach Spaß. Es muss also nicht immer bergauf gehen, auch links und rechts des Ziels gibt es viel Schönes zu entdecken.
„Eine teurere Luxusuhr ist nicht immer die Bessere“
Grundsätzlich darf von einem Luxusgut erwartet werden, dass mit einem höheren Preis auch die Fertigungstiefe und der technische Anspruch steigt. Das ist in der Regel auch der Fall – man muss nur bedenken, dass für die letzten 10 % Qualitätsunterschied 100 % mehr Kosten auf den Käufer zukommen. In einigen Fällen kippt das Prinzip allerdings und endet in Preisen, bei denen für eine gleichwertige oder gar minderwertigere Uhr mehr ausgegeben wird als für das weniger bekannte hochwertigere Pendant.
So ist es zweifelsohne nicht der raffinierten Kalibertechnik oder dem Material geschuldet, dass ein einfacher Chronograph wie die Rolex Daytona Ref. 116520 aus Edelstahl mit rund 33.000 EUR fast 6.000 EUR teurer ist als eine Jaeger-LeCoultre Master Control Calendar Ref. Q4132520. Letztere Uhr besteht aus Rotgold und ist mit einem weitaus exklusiveren Uhrwerk ausgestattet, das über eine Mondphasen- und Day-Date-Anzeige verfügt. Zugegeben: Das Design beider Uhren ist schon recht unterschiedlich, doch wer zwischen sportlich und elegant schwankt, erhält beim Kauf der JLC eine weitaus raffiniertere und exklusivere Uhr.
Ein weiteres gutes Beispiel, mit dem Sie bei der nächsten Uhr günstiger einkaufen können als zuvor, ist Grand Seiko. Die japanische Luxusuhrenmarke, die häufig Omega und Rolex gegenübergestellt wird, ist beliebt und bekannt für höchste Verarbeitungsqualität und Präzision. Ein Vergleich zwischen den drei Marken scheint für viele Uhrenkäufer allerdings noch immer undenkbar zu sein. Dabei wird oft vergessen, dass die Qualitätsmaßstäbe der japanischen Manufaktur denen von Herstellern wie Rolex oder Omega mindestens entsprechen oder diese sogar übersteigen. Beispielhaft sei hier die innovative Spring-Drive-Technologie der Manufakturwerke genannt.
Sollten Sie also beispielsweise bereits eine Rolex Submariner Ref. 124060 besitzen, die bei Erscheinen dieses Textes etwa 12.000 EUR kostet und vielleicht mit einer Rolex GMT-Master II Ref. 126710BLNR liebäugeln, dann schauen Sie doch einmal über den Rolex-Tellerrand. Die Grand Seiko SBGE283 aus der Kollektion Evolution 9 wartet neben einer exzellenten Qualität und „echter“ GMT-Funktion mit Features auf, welche die deutlich teurere GMT-Master nicht bietet.
Pascal: „Schneller, höher, weiter!“
Wer sich zufriedengibt, der verliert. So oder so ähnlich wird die heutige Gesellschaft oft beschrieben. An diesem Modus wird nicht selten zurecht Kritik geübt. Doch ich bin der Meinung, dass ein Uhrensammler durchaus nach dem „next big thing“ streben sollte. Nein, sogar muss! Um dem Aufschrei direkt den Wind aus den Segeln zu nehmen: Natürlich hat nur ein sehr geringer Anteil der Bevölkerung ein unbegrenztes Budget zur Verfügung und es gibt Lebensnotwendigeres als eine Luxusuhr. Ich spreche hier für die Personen, die sich bereits in der prädestinierten Position befinden, eine Luxusuhr erwerben zu können. Dabei geht es mir auch nicht um ein bestimmtes Budget, sondern um die Steigerung und den Fortschritt, der mit der nächsten Uhr einhergehen sollte.
Um sich als Persönlichkeit oder beruflich weiterzuentwickeln, ist es notwendig aus seiner Komfortzone auszubrechen und Reibung zu erzeugen, sich zu strecken. Das schließt nicht aus, den Status Quo, die aktuelle Uhrenkollektion oder Lieblingsuhr wertzuschätzen. Um als Uhrensammler zu wachsen, ist es jedoch auch notwendig nach dem zu streben, was zunächst unmöglich scheint. Das hat den Vorteil, dass man sich auf neues Terrain begibt, liest, sich informiert und austauscht, sich mit neuen Marken und Techniken auseinandersetzt. Man bleibt up to date, angefixt und unter Spannung. Diese Begeisterung ist wichtig, um den Spaß am teuren Hobby „Luxusuhr“ langfristig beizubehalten. Für mich ist das jedenfalls sehr wichtig.
Ein Beispiel gefällig? Gerne! Ich habe mich lange Zeit mit meiner Rolex Datejust zufriedengegeben. Das soll nicht arrogant klingen. Aber ich meine – es ist einfach die perfekte Uhr. Ganz bescheiden – was will man mehr. Jetzt kann man die Kollektion in der Breite ausbauen und weitere Uhren in diesem Preisbereich kaufen. Eine weitere Datejust, eine Omega Aqua Terra, Cartier Santos. Oder man stellt sich auf die Hinterfüße und schaut über den bisherigen Horizont hinaus. Was gibt es noch? Was wäre der nächste Schritt? Oder der übernächste? Wo möchte ich hin mit meiner Sammlung? Das motiviert, ohne die bisherigen Uhren zu verachten. Ich bin Fan davon, seine Sammlung perspektivisch in der Tiefe, statt in der Breite, auszubauen. Mit zunehmender Erfahrung auch zunehmende „Qualität“ oder Komplexität zu erwerben. Komplexität im Sinne von Technik, Spezialwissen, das man für den Kauf haben muss, anspruchsvollere Materialien oder Seltenheit der Uhr. Das geht meist einher mit höheren Preisen.
Aus diesem Grund habe ich mich in letzter Zeit beispielsweise intensiv mit A. Lange und Söhne befasst. Eine Marke, die ich zwar nicht plane vor meinem 50. Lebensjahr mein Eigen zu nennen, die mich aber dennoch fasziniert. Dadurch, dass ich mich mit der komplexeren Technik des Nachspannwerks der Zeitwerk und der Fertigungstiefe von A. Lange und Söhne beschäftigt habe, habe ich eine klare Vorstellung, wo ich mit meiner Kollektion hin möchte und vermeide dadurch auf dem Weg „unnötige“ oder unpassende Käufe zu tätigen. Und wenn ich nie dort ankomme oder mich umentscheide? Dann habe ich trotzdem mehr über andere Marken und Modelle gelernt. Für mich ist das Träumen von einer noch unerreichbaren Uhr ein unheimlich starker Treiber und sorgt dafür, dass man auf dem Weg dorthin viel Erfahrung und Wissen anhäuft. Deshalb muss das Ziel sein, dass die nächste Uhr eine Stufe höher liegt.