Von Brynn Wallner
In den letzten vier Jahren hat sich die Uhrenwelt stark verändert. Das liegt an verschiedenen Faktoren, u. a. den Panikkäufen während der Pandemie und der Zunahme an Social-Media-Accounts zum Thema Uhren. Luxusuhren zieren schon immer die Handgelenke der Menschen (das hat sich auch nicht geändert als Armbanduhren durch Smartphones aus technischer Sicht obsolet wurden), aber echter Enthusiasmus war historisch gesehen eher bei einigen wenigen vorhanden. Als 2021 die Preise auf dem Sekundärmarkt in die Höhe schnellten und bei Auktionen Rekordpreise erzielt wurden, stellten dann die großen Medienhäuser Uhren als unverzichtbare Anlagemöglichkeit in den Fokus. Gleichzeitig demokratisierten die Sozialen Medien die Art und Weise, wie über Uhren gesprochen wurde – die Folge: eine ansteckende neue Welle an Uhrenträgern und beispielloses Wachstum der Uhrenbranche.
Aus finanzieller Sicht ist der Markt seit dem Höhepunkt im Jahr 2021/2 wieder etwas abgeflacht (auch wenn die Zahlen immer noch über denen vor der Pandemie liegen). Aber die allgemeine Leidenschaft hat sich nur weiter intensiviert, was wir insbesondere daran sehen, wie schnell sich Trends gerade verbreiten. Viele Experten würden sagen, dass die Uhrenwelt sich im Schneckentempo bewegt, wenn es darum geht, was gerade in Mode ist – und das ist sicher einer der Gründe für das Überleben der Branche. Wie Heidi Klum einmal sagte, ist man in der Modewelt am einen Tag „in“ und gehört dazu, und am nächsten ist man schon wieder „out“. Aber bei den prestigeträchtigen Uhrenmarken ist das anders: Wenn man einmal „in“ ist und dazugehört, gehört man dazu.
Inzwischen beobachten wir aber, dass die Verbraucher anfangen, das Narrativ zu bestimmen. Menschen, die sich früher von der Uhrenwelt ausgeschlossen fühlten, haben die Sozialen Medien als Plattform entdeckt, um diese exklusiven Werke zu diskutieren und auseinanderzunehmen. Dieser Dialog ist so allgegenwärtig, dass er bis ganz nach oben in die Vorstandsetagen der großen Uhrenmarken vordringt und dort Auswirkungen im echten Leben hat.
Zu diesen Auswirkungen gehört die Entscheidung vieler Uhrenmarken, ihre Produkte nicht mehr einer weiblichen oder männlichen Zielgruppe zuzuordnen. Marken wie Zenith und Hublot haben die Unterscheidung in „Damen-“ und „Herrenuhren“ auf ihren Webseiten abgeschafft, und für viele Uhrenliebhaber war dieser Moment lang ersehnt. Insbesondere viele Frauen haben den Labeln schon seit Jahrzehnten keine Beachtung mehr geschenkt – frustriert von der geringen Auswahl an Damenmodellen und der herablassenden Art, auf die sie angesprochen wurden.
Kommen wir noch einmal zu Heidi Klum und ihrem berühmten Auftritt im Jahr 2007, als sie eine 40 mm große Panerai Radiomir aus Roségold trug. Diese Modeentscheidung war kein Versehen – von den 90ern bis in die 2000er führten Klum und ihre Supermodel-Kolleginnen den Trend von Frauen mit größeren Herrenuhren am Handgelenk an. Ich denke da zum Beispiel an Christie Brinkley, die 1990 ihren Cowboy-Hut mit einer 40-mm-Rolex Explorer II kombinierte, oder Elle Macpherson, die mit einer Rolex GMT-Master am Handgelenk einen Delfin küsste, oder Giselle, die in den 2000ern eine große Jacob & Co Five Time Zone trug. All diese Ereignisse sorgten dafür, dass der Trend auch im Alltag der Frauen ankam: Mittelstufenschülerinnen trugen plötzlich übergroße Baby-G-Uhren und ihre älteren Schwestern zeigten sich mit auffälligen, ebenso übergroßen Michael Kors-Zeitmessern.
Auf der anderen Seite geht der Trend in den letzten Jahren aber auch hin zu kleineren Gehäusegrößen. Die neue Generation der modelnden Promi-Kinder entscheidet sich häufig für Uhren, die ursprünglich als Damenuhren bezeichnet wurden, von Bella Hadid beim Reiten mit ihrer lockeren Cartier Panthère aus Gold bis hin zu Hailey Bieber mit einer 26 mm großen Vintage-Patek Philippe Nautilus. Dasselbe gilt allerdings auch für die Jungs, was wiederum bestätigt, dass Uhren heute so unisex sind wie nie – schauen Sie sich nur einmal Bad Bunny und seine winzigen Pateks an! Dass zierlichere Uhren wieder mehr Zuspruch finden, zeigt sich am besten an der neu entfachten Beliebtheit der Cartier Baignoire, die zu einer offiziellen Neuauflage geführt hat – an einem auffälligen, feminin anmutenden Goldarmband.
Daten zeigen: Weibliche Chrono24 Nutzer bevorzugen moderne „Männer“-Uhren
Wenn Sie das hier lesen oder die Themen in den Sozialen Medien verfolgen, wissen Sie, dass kleine Uhren gerade angesagt sind. Der letzte Datenbericht von Chrono24 ist also rätselhaft. Den Analysen des weiblichen Kundensegments zufolge haben 61,69 % der weiblichen Käufer im Jahr 2023 moderne „Männer“-Uhren gekauft und fast ein Drittel waren 40 mm groß oder sogar größer. Diese Daten stehen im direkten Kontrast zu den Schlagzeilen in der Uhrenbranche.
Was hat es also damit auf sich, dass amerikanische Frauen allem Anschein nach größere Uhren kaufen, wenn eigentlich alles in die andere Richtung weist? Eine Theorie ist, dass der Unisex-Trend sich eher auf die Angebote mit Herrengröße bezieht, einfach weil diese Uhren auf dem Markt viel verbreiteter sind (insbesondere was moderne Angebote angeht – viele Marken haben die Produktion ihrer kleinsten Modelle einfach gestoppt). Obwohl 36-mm-Uhren traditionell als „Männer“-Modelle gelten, wird die Größe häufig als geschlechtsneutral angesehen. Der Look hängt dabei stark davon ab, wer die Uhr trägt (sie wirkt leicht überdimensioniert an schmaleren Handgelenken und sitzt perfekt am durchschnittlichen Handgelenk eines Mannes).
Eine weitere Theorie rankt um die im März 2022 eingeführte Uhr, die in Zusammenarbeit zwischen Swatch und Omega entstanden und allgemein unter dem Namen MoonSwatch bekannt ist. Mit ihren 42 mm ist die Uhr ein Reale-Welt-Beispiel für die Demokratisierung der Uhrenindustrie, die wir online bereits gesehen haben. Diese farbenfrohe, verspielte, erschwingliche Version von Omegas legendärer Speedmaster ebnet für viele von uns den Weg zu diesem horologischen Erbe, das uns zuvor verschlossen blieb, einfach weil wir es uns nicht leisten konnten. Und das gilt genauso für Frauen! Den Analysen zufolge wählen 98,5 % der Frauen, die eine Swatch kaufen, ein Modell mit einer Größe von über 40 mm.
Es sollte auch erwähnt werden, dass ganze 47,1 % der in den USA von Frauen gekauften Uhren mindestens 40 mm groß sind. Dieser Datenpunkt ist umso wichtiger, wenn wir bedenken, dass die Uhren, die auf dem Markt in höheren Ligen spielen, häufig auch größer sind. Schauen Sie sich einmal die Uhren in wohlhabenden Gegenden wie Malibu oder den Hamptons an, dann wissen Sie, was ich meine. Diese Frauen fahren große Range Rover und tragen Rolex Daytona, Audemars Piguet Royal Oak und Patek Philippe Nautilus. Vielleicht halten sie an dem Trend der übergroßen Uhren fest, der sie bei ihrem Einstieg in die Uhrenwelt begleitet hat – oder sie sind in ihrem Uhrensammel-Hobby bereits so weit fortgeschritten, dass sie die Damenversionen der Datejust und die Cartiers mit Quarzwerk für unter 5.000 EUR schon hinter sich gelassen haben.
Schauen wir uns ein Beispiel aus dem echten Leben an: Die in Zusammenarbeit entstandene Chronomat-Kollektion von Victoria Beckham und Breitling. In Bezug auf das 36 mm große Gehäuse verwendete Beckham wiederholt das Wort „cool“ – und fasste damit, in ihren Augen, den Look einer Frau mit einer großen, traditionell als Herrenuhr bezeichneten Uhr am Handgelenk zusammen. Eine ganz andere Meinung hatte sie zu den kleinen Uhren, die heute en vogue sind: Sie schien alles, was irgendwie „zierlich“ war, zu verachten. Beckham, schon lange Uhrensammlerin, fand schon immer Gefallen an übergroßen Uhren und zeigte sich gerne mit 40-mm-Daytonas und Patek Nautilus. Aber wenn man weit genug in die Vergangenheit schaut, findet man sie in den 90ern auch mit einer kleinen Cartier Tank Française am Handgelenk – was wiederum die Theorie bestätigt, dass die Uhren immer größer werden, je tiefer man im süchtig machenden Hobby des Uhrensammelns versinkt.
Was mich angeht…
Ich bin vielleicht das perfekte Beispiel. Als ich 2020 meine auf Frauen fokussierte Uhrenplattform Dimepiece gründete, besaß ich gar keine Luxusuhr. Von meiner Familie habe ich nichts geerbt und ich hatte das Gefühl, dass Uhrenwerbung überhaupt nicht an mich gerichtet war – warum hätte ich also mein hart verdientes Geld für etwas ausgeben sollen, worüber ich nichts wusste? Das alles änderte sich mit einem Job bei Sotheby’s, wo ich eng mit der Uhrenabteilung zusammenarbeitete. Die Haute Horlogerie zog mich sofort in ihren Bann, sodass ich bald darauf mein eigenes Projekt startete. Ein Jahr nach der Gründung von Dimepiece – ich hatte bereits eine Webseite veröffentlicht, war die Autorin der monatlichen Uhren-Kolumne bei Harper’s Bazaar und wurde von prestigeträchtigen Marken wie Audemars Piguet zu ihren neuen Veröffentlichungen eingeladen – besaß ich immer noch keine Uhr. Die übergroßen Modelle, die mir in den Pressepräsentationen gezeigt wurden, schienen unerreichbar und zu groß für mein klein(er)es Handgelenk. Und damals sprach niemand in der Uhrenbranche über kleine Uhren. Es fühlte sich fast unfeministisch an, eine zu tragen. Erst als ich eine kleine Cartier Tank Française aus Stahl anprobierte, kratzte ich endlich ein paar tausend Dollar zusammen, um meine Kollektion zu starten.
Als Neuling erschien mir die Française wie die vielseitigste, praktischste und modischste Uhr, die ich in meiner Preisklasse hätte kaufen können. Kurz gesagt, die perfekte Uhr für den Einstieg. Obwohl ich diese Uhr auch heute noch am häufigsten trage (ich liebe es, wie unauffällig sie auf Reisen oder in der U-Bahn ist), merke ich immer wieder, wie ich mich nach mehr sehne. Im letzten Monat habe ich immer wieder zu meiner Grand Seiko SBGA471 mit dem berühmten Spring Drive-Kaliber des japanischen Uhrmachers gegriffen – zwischen diesem Kaliber und dem generischen, batteriebetriebenen Quarzwerk meiner Française liegen Welten. Diese Grand Seiko mit blauem Zifferblatt misst 40 mm und ich trage sie besonders lose, um diesen ungezwungenen, coolen Look zu erreichen. Wenn Sie mich kennen, wundert Sie das vielleicht, aber wenn man bedenkt, wie sehr ich Uhren inzwischen liebe und schätze, ergibt das Sinn. Das Angebot an sportlicheren, proportionalen, mechanischen Referenzen, die mir als Frau zur Verfügung stehen, ist so begrenzt, dass ich eben zu größeren Uhren greifen muss. Und so langsam verstehe ich, warum all die unglaublichen Frauen, die sich vor mir mit Uhrenmode beschäftigt haben, größere Uhren lieben.